
Am 5. Dezember durchsuchten rund 600 Polizist*innen in acht Bundesländern Räume und Wohnungen. Die Durchsuchungen wurden mit einer Demonstration während des G20 Gipfels am 7. Juli am Hamburger Rondenbarg in Zusammenhang gesetzt.
Bekannt wurden die Geschehnisse am Rondenbarg auch durch den Prozess gegen Fabio, der an der Demonstration teilgenommen haben soll und der, trotz fehlender Zeugen und Beweise, wegen mutmaßlichem schwerem Landfriedensbruch bereits 4 Monate in Untersuchungshaft verbringen musste. Als die Demonstration auf eine Polizeieinheit traf, ging diese unvermittelt und mit massiver Gewalt gegen die Demonstration vor. Allein 14 Demonstrant*innen wurden größtenteils schwer verletzt, als sie bei der Flucht vor der Polizei von einem Zaun stürzten. Nun fanden bundesweit Hausdurchsuchungen statt, da 76 Strafverfahren wegen „schwerem Landfriedensbruch“ eröffnet wurden.
Straftat durchs Nicht-Entfernen
Ein Novum bei den Ermittlungen: Es werden den Teilnehmer*innen der Demonstration keine individuellen Handlungen vorgeworfen, wie zum Beispiel das Werfen von Gegenständen oder Zünden von Pyrotechnik. Allein durch die Teilnahme an der Demonstration und das Nicht-Entfernen sollen sich die Teilnehmer*innen strafbar gemacht haben.
Die Polizei behauptet, es habe sich um einen „in seiner Gesamtheit gewalttätig handelnden Mob“ gehandelt. Organisationen, wie der Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV), bezeichnen diese Behauptung entschieden als falsch, da sie bereits durch Polizei-Videos, die auch in öffentlichen Hauptverhandlungen angeführt wurden, widerlegt wurde.
Die Auslegung eines BGH-Urteils
Grundlage für die Ermittlungen und Rechtfertigung der umfangreichen Hausdurchsuchungen ist die Auslegung eines Urteils des Bundesgerichtshof (BGH) vom 24. Mai 2017. Das Urteil beschäftigte sich mit dem Fall zweier Hooligangruppen, die sich über Whatsapp zu einer Schlägerei verabredeten, sich mit Quarzhandschuhen und Mundschutz ausrüsteten und in militärischer Formation aufeinander losgingen. Dabei wurden auch Teilnehmer verurteilt, die lediglich mitmarschiert sind und denen keine Körperverletzung oder Ähnliches nachgewiesen werden konnte.
Im Urteil wird jedoch eine Grenze zu einem Demonstrationsgeschehen gezogen:
„Alle Teilnehmer der Menschenmenge verfolgten einzig das Ziel, geschlossen Gewalttätigkeiten zu begehen. Dadurch unterscheidet sich dieser Fall der „Dritt-Ort Auseinandersetzung“ gewalttätiger Fußballfans von Fällen des „Demonstrationsstrafrechts“, bei denen aus einer Ansammlung einer Vielzahl von Menschen heraus Gewalttätigkeiten begangen werden, aber nicht alle Personen Gewalt anwenden oder dies unterstützen wollen.“
Dies hielt die Polizei nun aber nicht davon ab, in ihrer Pressekonferenz zu den aktuellen Hausdurchsuchungen von einer „neuen Rechtsprechung“ zu reden und die Durchsuchungen mit obigem BGH-Urteil zu untermauern. Zudem versuchte die Polizei auf ihrer Pressekonferenz krampfhaft, eine vorangegangene Organisierung von gewalttätigen Handlungen zu betonen.
Das Vorgehen und das gerichtliche Absegnen der Hausdurchsuchungen könnte auf eine neue Rechtsauslegung hindeuten. Letztlich geht es auch um die Frage, ob man der Versammlung die Rechte einer Demonstration absprechen kann. Wenn die Rechtsauslegung der Hamburger Polizei auch von weiteren Gerichten bestätigt werden sollte, hätte dies weitreichende Konsequenzen für zukünftige Demonstrationen und für die derzeit 76 Prozesse um den Rondenbarg, u.a. für den von Fabio.
Zweifelhafte Beweisaufnahme
Während der Pressekonferenz am 05.12. gab Jan Hieber, Leiter der Soko „Schwarzer Block“, zu, dass die Polizei mit den Durchsuchungen nicht nach weiteren Beweisen für die Teilnahme an der Demonstration suchte. Es ginge um die Aspekte der „Planung, Vorabsprachen und Ausführung“. Damit stehen die Eingriffe in die grundrechtlich geschützte „Unverletzlichkeit der Wohnung“ in einem vollkommen unangemessenen Verhältnis zu erwartbaren Ermittlungsergebnissen. Nebenbei wurde der „gewalttätigen Charakter“ der Demonstration laut Hamburger Staatsanwaltschaft durch lediglich 14 Stein- und vier Böllerwürfe dokumentiert. Es gehe der Polizei auch vielmehr darum „ein bisschen näher an den Kern der autonomen Szene heranzukommen“, wie Hamburgs Polizeipräsident verlauten ließ.
Diskursverschiebung
Linke Organisationen wie linksjugend [’solid] bezeichneten die Strategie der Polizei als „Diskursverschiebung und Kriminalisierung linker Aktivist*innen“. Die Hamburger Polizei versuche von ihren Verfehlungen abzulenken und ihr eigenes gewaltsames Vorgehen nachträglich zu rechtfertigen. Offenbar versucht die Polizei wieder die Deutungshoheit zu erlangen, nachdem unterschiedliche Medien ihr hartes Vorgehen am Rondenbarg thematisierten. Die Einschätzung der Unrechtmäßigkeit der gezeigten Polizeipraxis ist unter fortschrittlichen Jurist*innen Konsens. So hätte die Polizei die Auflösung der Demonstration zumindest mit Lautsprechern ankündigen müssen, bevor sie die Demonstration zerschlug.
Dass die Hardliner der Hamburger Polizei ihre unverhältnismäßige Repressionswelle fortsetzen wollen, ist sicher. Im Rahmen der Soko „Schwarzer Block“ ermitteln derzeit 165 Mitarbeiter*innen der Polizei und analysieren dafür u.a. tausende Videos und Bilder. Darüberhinaus kündigte sie für den morgigen Montag eine groß angelegte Öffentlichkeitsfahndung an.
Krass, die Hamburger Vollzugsbehörden meinen echt ihr Ding durchziehen zu können!
Anschaulich wird ihr rechtswidriges Vorgehen am Rondenbarg in diesem TV-Beitrag: https://www.youtube.com/watch?v=V6tu2y79lns
Unfassbar auch, dass sie sich bei dieser Öffentlichkeitsfahndung einfach über das Strafgesetzbuch hinwegsetzen, indem sie wahllos Menschen an den Pranger stellen.
Ich kenne mich da nicht so aus – aber irgendwelche Instanzen müssten doch in der Lage sein dieses Unrechtsgebaren zu beenden…?!