
Vier Oldenburger Neonazis, die am 23. November 2013 acht Grabsteine und die Trauerkapelle des jüdischen Friedhofs an der Dedestraße in Oldenburg mit Hakenkreuzen und der Aufschrift »Jude« beschmiert hatten, wurden Mitte April diesen Jahres vom Amtsgericht Oldenburg verurteilt. Der 35-jährigen Haupttäter erhielt eine Haftstrafe von sechs Monaten, ein 37 Jahre alter Mitangeklagter eine Strafe von fünf Monaten ohne Bewährung. Glimpflicher davon kamen ein 26-Jähriger, welcher zu einer Geldstrafe von 3000 Euro verurteilt wurde sowie ein Jugendlicher, der sich in einem gesonderten Verfahren vor Gericht verantworten musste.
»Selbst die letzte Ruhe soll keine sein. Die Verwüstung der Friedhöfe ist keine Ausschreitung des Antisemitismus, sie ist er selbst.«
schrieben Max Horkheimer und Theodor W. Adorno in ihrem Text »Elemente des Antisemitismus«. Und die ungebrochene Kontinuität des deutschen Antisemitismus läßt sich an den Angriffen auf den jüdischen Friedhof im Herzen Osternburgs, bei welchen die Schändung vom 23. November 2013 leider weder den ersten noch den letzten Angriff darstellt, eindrücklich belegen.
Eine unvollständige Chronologie
Am 28. Mai 1935 wurden neun Grabsteine auf dem Friedhof umgeworfen und zertrümmert. Als Täter für diese Schändungen kamen – nach Ermittlungen des Gendarmerierstandorts Osternburg – Angehörige des SA-Hilfswerklager Blankenburg bei Oldenburg in Frage. Während der Novemberpogrome 1938, am Vormittag des 10. November, wurde erfolglos versucht, die Trauerkapelle in Brand zu setzen. Mehrere Gräber wurden geschändet. Wegen dieser Taten wurden 1949, also nach dem Sieg über den NS-Faschismus, zwei Nazis wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu einem Jahr und neun Monate bzw. einem Jahr Gefängnisstrafe verurteilt.
Für die Zeit von 1945 bis zur Wiedervereinigung sind dokumentierte Angriffe schwer zu finden. Dies dürfte jedoch eher auf die Verdrängung solcher Geschehnisse in der Öffentlichkeit, denn auf ihr Nichtvorkommen zurückzuführen sein.
Ab den 90’er Jahren häufen sich die dokumentierten Fälle. So wurden am 1. Mai 1990 insgesamt 19 Gräber verwüstet. Am 3. Mai, nur zwei Tage später, nahm die Polizei zwei Jugendlichen im Alter von 14 Jahren fest, welche vier Grabsteine auf dem Friedhof umgeworfen hatten. Zwei Jahre später wurden mehrere Grabsteine mit Hakenkreuzen beschmiert. Am 15. Juni 2000 und 26. September 2003 wurde der Friedhof erneut von Neonazis geschändet. Am 11. März 2004 wurden mehrere Grabsteine beschädigt.
Am 29. Mai 2010 wurde die Friedhofsmauer beschmiert. Nichtmal ein Jahr später, am 19. November 2011, bewarfen fünf mit Sturmhauben maskierte Nazis den Friedhof mit Farbbeuteln. Dabei wurden sechs Gräber geschändet. Ein zufällig vorbeikommender Polizist verfolgte die Täter und wurde dabei mit Pfefferspray verletzt. Im November 2012 wurde ein 21-jähriger Neonazi dafür vom Amtsgericht Oldenburg wegen Störung der Totenruhe und Körperverletzung zu einer Strafe von 2 Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. In der Nacht des 23. November 2013 folgte der Eingangs erwähnte Angriff. Im Sommer 2014 wurde die Friedhofsmauer mit den Ziffern „88“ besprüht, einer in Nazi-Szene gebräuchlichen Abkürzung für „Heil Hitler“. Am 14. Februar 2015 wurden die Torsäulen im Eingangsbereich, eine Mauer und zwei am Friedhof parkende Autos mit Hakenkreuzen beschmiert.
„Das war ein gezielter Anschlag auf das jüdische Leben in Oldenburg. Solch ein Ereignis zeigt einfach, wie aktuell die Bedrohung von Juden in Deutschland immer noch ist.“
konstatierte der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Oldenburg nach dem Angriff vom 23. November 2013. Die Nazis von heute trachten zeitgleich nach einer Wiederholung der Taten ihrer Vorfahren, nach einer »endgültigen« Wiederholung einerseits und einer Verdrängung der Schuld und Verantwortung für die Shoa andererseits. Sie nehmen Rückgriff auf die jüdischen Friedhöfe, welche in besonderer Weise an die verübten Verbrechen erinnern und schon deshalb ihre Zerstörungswut herausfordern.
Die Verwüstungen der jüdischen Friedhöfe sind dabei nur als ein Symptom eines nach wie vor fest in der Mitte der deutschen Gesellschaft verankerten Antisemitismus anzusehen. Etwa jede_r fünfte Deutsche ist nach übereinstimmenden Studien latent antisemitisch eingestellt. Heutzutage wird jedoch der Fokus der Öffentlichkeit auf einen sogenannten „eingewanderten Antisemitismus“ gelenkt. Nicht also die Nachkommen der NS-Täter_innen, sondern muslimische Migrant_innen seinen die Hauptgefahr für jüdisches Leben in Deutschland. Dass über 90 Prozent aller erfassten antisemitischen Straftaten Hierzulande von deutschen Neonazis verübt werden, wird dabei schlicht ignoriert.
„Nach 75 Jahren ist eben nicht alles vorbei, es wird niemals vorbei sein“
befürchtete im Jahr 2013 Jehuda Wältermann von der Jüdischen Gemeinde zu Oldenburg. Noch drastischer formulierte es der österreichisch-israelische Arzt Zvi Rix bereits vielen Jahre zuvor:
„Auschwitz werden uns die Deutschen niemals verzeihen!“